Schienbeinkantensyndrom | Tibialis-posterior-Syndrom


Bei einem Tibialis-posterior-Syndrom handelt es sich um eine schmerzhafte Entzündung und Schädigung der Sehne des hinteren Schienbein-muskels (Muskulus tibialis posterior) am Fuß-Innenknöchel. Dieser Muskel ist maßgeblich an der muskulären Stützung des Fussgewölbers beteiligt. Fällt er aus, fällt das Längsgewölbe in sich zusammen. Diese fortschreitende Sehnendegeneration mit Entzündung der Sehnen-scheide führt zu einer Sehnenverlängerung und kann sogar zu einem Komplett-Riss der Sehne führen.

 

Anatomie

 

Der M. tibialis posterior ist maßgeblich für die Hebung des inneren Fußrandes (Supinationsbewegung) verantwortlich und initiiert zudem die Bewegung beim Gasgeben oder Zehenstand (Plantarflexion). Er fungiert auch als bedeutender Stabilisator des Knöchels, verhindert das Absinken des Längsgewölbes und hat seinen Ursprung an der Rückseite des Schienbeins. Etwa 5 cm oberhalb des Innenknöchels geht der Muskelbauch in die lange Sehne über, die entlang der Innenseite des Unterschenkels zum Innenknöchel zieht und sich an dessen Rückseite anlegt. An der Spitze des Innenknöchels ändert die Sehne ihren Verlauf, verläuft fast parallel zum Boden und ist im belasteten Bereich durch Faserknorpel verstärkt. Die Tibialis-Posterior-Sehne setzt an der Fußinnenseite (Os naviculare) und der Fußsohle im Bereich verschiedener Fußwurzel- und Mittelfußknochen an. In der Nähe verlaufen die langen Beugesehnen der Großzehe sowie der anderen Zehen (Flexor-digitorum-longus-Sehne, Flexor-hallucis-longus-Sehne), und ein Gefäß-Nerven-Bündel mit Arterie, Vene und dem Schienbein-Nerv (Nervus tibialis) befindet sich ebenfalls in unmittelbarer Nähe.

 

Epidemiologie

 

Schätzungen besagen, dass mehr als 10 % der Bevölkerung im Laufe des Lebens von einer Tibialis-Posterior-Sehneninsuffizienz (PTTD) betroffen sind, wobei diese oft erst spät diagnostiziert wird. Das könnte erklären, warum das Anfangsstadium einer Sehnenscheiden-entzündung unter Sportlern nicht übermäßig häufig erkannt wird. Der Beginn der M.-tibialis-posterior Sehnenschädigung, die Frauen dreimal häufiger trifft, liegt meist jenseits des 40. Lebensjahres.

 

Risikofaktoren

 

Hier sind die Risikofaktoren im Überblick:

  • Weibliches Geschlecht
  • Alter über 40 Jahre
  • Mikrotraumata durch Überlastungen
  • Überpronation des betroffenen Fußes
  • O-Bein
  • Übergewicht
  • Unpassendes Schuhwerk
  • Unpassende Einlagenversorgung
  • Fehlende muskuläre Stabilität

Die meisten genannten Risikofaktoren sind selbsterklärend. Bezüglich der biomechanischen Risikofaktoren sei kurz angemerkt: O-Bein und Überpronation erhöhen die Zugbelastung auf die Tibialis-Posterior-Sehne. Wenn solche Risikofaktoren bestehen, können zusätzliche auslösende Faktoren wie hohe Belastungen zu Reizungen und Sehnenscheidenentzündungen führen. Dies zeigt sich als erste Anzeichen der zeitweisen Überforderung der Sehne. Fehlende muskuläre Spannung kann ungebremste Stöße verursachen, die von der Tibialis-Posterior-Sehne aufgefangen werden müssen und ebenfalls zu Überlastung führen können. Wiederholte Überlastungen können zu Mikrotraumata führen, die im Verlauf, bei fortgesetzter Dekompensation, zur Degeneration der Sehne führen können. Dies wiederum führt zur Verlängerung der Sehne, wodurch das Längsgewölbe nicht mehr ausreichend gestützt wird und die Krankheit fortschreitet.

 

Stadien und Verlauf

 

Die medizinische Einteilung der Stadien des Tibialis Posterior Syndroms erfolgt meist durch die bei Ärzten vorherschende Klassifikation nach Johnson & Storm (1989). Diese Klassifikation unterscheidet 4 Stadien. Am Anfang steht eine relativ harmlose Sehnenscheiden-entzündung. Der Muskel ist überfordert, die Sehne überlastet, die superempfindliche Sehenscheide reagiert meist mit Schmerz und einer bis zu Tennisball grossen Schwellung hinter und unterhalb des Innenknöchels am Sprunggelenk. Im weiteren Verlauf degeneriert die Sehne im Inneren und ist leicht angerissen. Am Ende reisst die Sehne ganz oder zumindest soweit, dass der hintere Schienbeinmuskel das Fussgewölbe nicht mehr hochziehen kann und es damit nicht mehr stabilisieren kann. Das Gewölbe kollabiert, eine OP wird notwendig.

 

Stadium I:

In der ersten Phase klagen die Patienten über belastungsabhängige Schmerzen entlang der Tibialis-Posterior-Sehne, die zu verkürzten Geh- oder Laufstrecken führen können. Eine Schwellung im Sehnenbereich, typischerweise um den Innenknöchel, kann ebenfalls auftreten. Lokaler Druckschmerz ist häufig. Kraft und Beweglichkeit sind zu Beginn nicht eingeschränkt.

 

Stadium II:

Mit fortschreitender Erkrankung über die Sehnenscheidenentzündung hinaus treten in der Regel Schmerzen entlang der gesamten Fußinnenseite auf. Eine Veränderung der Anatomie, bekannt als "Rückfußvalgus", wird sichtbar, wobei die Rückfüße im Stand von hinten nach innen knicken. Dies geht mit einem abgesenkten Längsgewölbe, sprich Plattfuß, einher, der zu Beginn noch korrigierbar ist. Im weiteren Verlauf wird die Durchführung des Zehenstandes deutlich erschwert, und es können Schmerzen auf der Fußaußenseite auftreten. (Stadium II b).

 

Stadium III:

Ab Stadium III ist der sogenannte Rückfußvalgus nicht mehr korrigierbar, die Schmerzen manifestieren sich verstärkt im seitlichen Fußbereich. Zusätzlich zeigt sich eine zunehmend verkürzte Wadenmuskulatur.

 

Stadium IV:

In fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung besteht ein diffuser Schmerz im gesamten Fuß, der im Endstadium auch durch eine vorhandene Arthrose im Bereich des Oberen Sprunggelenkes (OSG) erklärt werden kann – dies bedeutet einen Gelenkflächenverschleiß mit zunehmendem Verlust des Gelenkknorpels.

 

Diagnostik und Bildgebung

 

Die Diagnose basiert hauptsächlich auf klinischer Untersuchung und wird sinnvollerweise durch Ultraschall, MRT und gegebenenfalls Röntgen unterstützt. Die wesentlichen körperlichen Befunde im Stadium I umfassen:

  1. Druckschmerz entlang der Tibialis-Posterior-Sehne
  2. Schwellung im Innenknöchelbereich
  3. Mögliche Abflachung des Längsgewölbes
  4. Rückfußvalgus (flexibel oder kontrakt)
  5. Unzureichende Rückfußvarisierung im Zehenstand
  6. Verkürzte Wadenmuskulatur

Üblicherweise wird die Funktion des hinteren Schienbeinmuskels (M. tibialis posterior) überprüft. Der Therapeut oder Arzt fordert den Patienten auf, in den hohen Zehenstand zu gehen und einige Schritte auf den Zehen zu gehen. Des Weiteren fixiert der Arzt den Fuß des Patienten entgegen der Funktionsrichtung (Plantarflexion, Supination) und fordert Streckbewegungen (Plantarflexion) und Fußinnenrand-hebung (Supination) gegen Widerstand. Durch diesen Vergleich der Muskelfunktion und Kraft des hinteren Schienbeinmuskels können Unterschiede zwischen den Seiten festgestellt werden. Zur ursächlichen Abklärung und Therapieplanung sind Bewegungsanalysen sinnvoll.

 

Zur Bestätigung der Diagnose und zur Beurteilung der Sehnenstruktur wird häufig Ultraschalldiagnostik durch den Arzt eingesetzt. Dies ermöglicht die sichere Verifizierung von Sehnenscheidenentzündungen anhand eines dunklen Flüssigkeitssaums um die Sehne sowie die Beurteilung der Sehnenstruktur (Verdickung, Gefäßneubildung, Teilrisse oder Risse). In unklaren Fällen oder im Rahmen der Planung operativer Vorgehensweisen kann auch eine MRT-Diagnostik verwendet werden. Diese liefert ebenfalls zuverlässige Abbildungen der Sehnenstruktur, ist jedoch teurer.

 

Therapie

 

Im Anfangsstadium lässt sich das Tibialis-posterior-Syndrom aktiv funktionell gut behandeln und die konservative Behandlung steht im Vordergrund der Therapie. Sobald jedoch mehr als ein Drittel des Sehnendurchmessers gerissen ist, kann eine funktionelle Therapie das Gewölbe nicht wieder herstellen. Das funktionelle Training besteht aus:

  • Ausrichtung der Ferse ins Lot – im Stehen, Gehen, Laufen und im Sport.
  • Ruhigstelllung
  • Dehnungen (Wadenmuskulatur, angepasst an die Schmerzintnsität und das Stadium)
  • Mobilisationen (Falls notwendig)
  • Kräftigung und Koordinationstraining (Muss durch den Therapeuten individuell bestimmt werden).
  • Die Aktivierung der tiefen Hüftmuskeln zur Entlastung der Tibialis-posterior-Sehne ist ein zentraler Bestandteil der funktionellen Therapie.
  • Physikalische Therapie: Niederfrequente Lasertherapie, Kyrotherapie

 

Konservative Ärztliche Therapie

Radiäre und fokussierte Stoßwellentherapie als auch ACP-Injektionen zeigen sich als erfolgreiche Methoden zur Bekämpfung der Sehnendegeneration. Entzündungshemmende Medikamente (NSAR) und Ruhigstellung vervollständigen die Therapie.

 

Schuh-, Einlagen- und Orhopädietechnik:

  • BORT Helix Spiraldynamik® USG Bandage
  • Einlagenversorgung mit Unterstützung des inneren Längsgewölbes
  • Jurtin medical® Systemeinlagen
  • Schuhversorgung, z.B. mit knöchelübergreifenden Wanderschuhen
  • Naheliegend ist der Versuch, das Einknicken der Ferse mittels Anti-Pronation-Taping zu verhindern.

Operative Therapie:

Chirurgische Maßnahmen werden für fortgeschrittene Krankheitsstadien in Betracht gezogen und haben in der Regel den Erhalt der Funktion oder den Ersatz der funktionsbeeinträchtigten Tibialis-Posterior-Sehne zum Ziel. Die Diskussion über operative Eingriffe beginnt bereits im Stadium IIa.

Eine mögliche Vorgehensweise sind sogenannte "Sehnentransfers", bei denen eine benachbarte Sehne (Flexor digitorum longus, Flexor hallucis longus) auf die insuffiziente Tibialis-Posterior-Sehne genäht wird, um die Funktion wiederherzustellen. Wenn persistierende Beschwerden, wie bei einer Sehnenscheidenentzündung, trotz konservativer Therapie bestehen, kann bereits im ersten Stadium eine Operation erwogen werden. Dabei wird die chronisch entzündete Sehnenscheide entfernt, und gegebenenfalls wird krankhaftes Sehnengewebe (Débridement) entfernt. In fortgeschrittenen Krankheitsstadien oder bei erheblichen knöchernen Fehlstellungen können auch korrigierende knöcherne Eingriffe in Betracht gezogen werden.

 

Prognose

 

Im Fall einer reinen Sehnenscheidenentzündung im ersten Stadium ist die Prognose günstig. Durch eine konservative Therapie lässt sich die Problematik in der Regel gut bewältigen. Der Schlüssel zum Therapieerfolg liegt in der konsequenten Umsetzung des individuellen physiotherapeutischen Programms. Zudem sollte das sportartspezifische Training angepasst werden, und etwaige Risikofaktoren sollten, wenn möglich, durch individualisiertes Training eliminiert werden. Mit fortschreitendem Krankheitsstadium verschlechtert sich die Prognose erheblich. Daher wird bereits ab dem zweiten Stadium eine operative Strategie in Betracht gezogen. Die Erkrankung sollte daher ab dem ersten Stadium ernsthaft behandelt werden, um ein Fortschreiten zu verhindern.