Hallux rigidus


Hallux rigidus bedeutet Einsteifung des Grosszehengrundgelenks durch Arthrose. Wörtlich übersetzt bedeutet er „steife Grosszehe“ und beschreibt damit streng genommen das klinische Vollbild eines weit fortgeschrittenen Stadiums der Erkrankung. Diese schmerzhafte Verschleißerkrankung tritt bevorzugt im höheren Lebensalter auf und zeichnet sich durch den Verschleiß von Kapsel, Bändern und vor allem die fortschreitende Knorpeldegeneration sowie den vollständigen Verlust der gelenkbildenden Knorpelschichten aus. Charakteristisch für den Hallux rigidus ist das isolierte Auftreten der Arthrose im Großzehengrundgelenk, ohne initiale Fehlstellung, im Gegensatz zum Hallux valgus. Da dem Hallux rigidus verschiedene Ursachen zugrunde liegen können, und im Rahmen der Erkrankung verschiedene Krankheitsstadien durchlaufen werden, kann es kein einheitliches Therapiekonzept geben. Zu behandeln ist immer der aktuelle und individuelle Krankheits- und Beschwerdezustand, nicht die Diagnose!

 

Anatomie

 

Das Großzehengrundgelenk (Metatarsophalangealgelenk, MTP-1-Gelenk) bildet die Verbindung zwischen dem 1. Mittelfußknochen (Os metatarsale) und dem 1. Zehenknochen, und es ist eine der wesentlichsten Belastungszonen des Fußes. Insbesondere in der Endphase des physiologischen Abrollmusters beim Laufen spielt dieses Gelenk eine entscheidende Rolle, da es beim Abdruck den Großteil der Last trägt.

Ein gesundes Großzehengrundgelenk weist etwa ein Bewegungsausmaß von 75° Streckung (Dorsalextension) und 35° Beugung (Plantarflexion) auf. Streckung bedeutet die Bewegung der Zehe vom Boden in Richtung Himmel, während Plantarflexion die Zehenbewegung in Richtung Boden beschreibt. Auf der Fußsohlenseite setzen sowohl kurze als auch lange Fuß- und Zehenbeuger am Großzehenskelett an. Ein verkürzter Großzehenbeuger (M. flexor hallucis longus) oder eine verkürzte Plantarfaszie können zu einer eingeschränkten Dorsalextensionsfähigkeit führen und so einen Hallux rigidus (Großzehengrundgelenksarthrose) vortäuschen, was als Hallux limitus bezeichnet wird.

 

Epidemiologie

 

Der Hallux rigidus ist die am häufigsten auftretende arthrotische Veränderung im Fußbereich und tritt vorrangig zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auf, wobei etwa doppelt so viele Frauen wie Männer betroffen sind. In den USA sind etwa 2,5 % der Menschen über 50 Jahren von dieser Erkrankung betroffen.

 

Risikofaktoren

  • Genetische Veranlagung
  • Weibliches Geschlecht
  • Überlänge der Großzehe
  • Überlastung
  • Ungeeignetes Schuhwerk
  • Übergewicht
  • Entzündliche Gelenkerkrankungen

Bei der Hallux-rigidus-Erkrankung zeigt sich eine familiäre Häufung, was bedeutet, dass das Erkrankungsrisiko vererbbar ist. Bei familiären Häufungen gibt es oftmals auch Betroffene, die auf beiden Seiten an einem Hallux rigidus leiden. Es ist zu beachten, dass etwa doppelt so viele Frauen wie Männer von Hallux rigidus betroffen sind, was ein doppelt so hohes Risiko für Frauen bedeutet. Eine übermäßig lange Großzehe erhöht, durch die Hebelwirkung, die mechanische Belastung im Großzehengrundgelenk und stellt daher ebenfalls einen Risikofaktor dar. Es wird angenommen, dass ständig wiederkehrende kleinste Verletzungen (Mikrotraumata), insbesondere durch sich wiederholende Überlastungen, die Entstehung der Krankheit begünstigen. Fußballspieler, aufgrund der Stauchungsbelastung im Bereich des Großzehengrundgelenks („turf-Zehen-Syndrom”), und Läufer mit exzessivem Laufsport sind besonders häufig betroffen. Unpassendes Schuhwerk, einschließlich langes Tragen von High-Heels oder zu weichen Sohlen, kann ebenfalls zur Überlastung des Großzehengrund-gelenks beitragen. Wiederkehrende Gelenkentzündungen erhöhen das Risiko für Arthrose, wobei Gicht und rheumatische Erkrankungen das Großzehengrundgelenk beeinflussen können. Zusätzlich stellt Übergewicht einen bedeutenden Faktor dar, der das Risiko für Verschleißerkrankungen im Bewegungsapparat insgesamt erhöht.

 

Beschwerden

  • Schmerzen während der Endphase des Abrollens
  • Beschwerden in Stützpositionen (z.B. Liegestütz)
  • Verstärkte Beschwerden barfuß oder mit weichen Schuhen
  • Eingeschränkte Beweglichkeit
  • Taubheitsgefühl auf der Innenseite der Großzehe
  • Überwärmung und Ruheschmerz
  • Metatarsalgie

Das Großzehengrundgelenk spielt eine entscheidende Rolle beim Abrollen des Fußes. Schmerzhafte Einschränkungen dieses Gelenks, wie sie typischerweise beim Hallux rigidus auftreten, können erhebliche Beschwerden beim normalen Gehen verursachen. Bei Übungen wie Liegestütz oder „Planks“ erleben Betroffene ebenfalls Schmerzen, da hier eine starke Streckung (Dorsalextension) der Zehengrundgelenke, insbesondere des Großzehengrundgelenks, erforderlich ist. Durch knöcherne Anbauten (Osteophyten) im Verlauf der Krankheit können Hautnerven geschädigt werden, was zu Taubheitsgefühlen führt, vor allem auf der Innenseite der Großzehe. In fortgeschrittenen Stadien aller Arthroseerkrankungen können Phasen mit deutlicher Schwellung, Rötung und Überwärmung sowie intensiven Schmerzen auftreten, die als „aktivierte Arthrose“ bezeichnet werden. Die Funktionsstörung des ersten Strahls (Großzehe und der dahinterliegende Mittelfußknochen) und die zunehmende Steifheit führen im Verlauf zu einer Mehrbelastung der benachbarten Zehen, was zur Entwicklung von Metatarsalgie führen kann.

 

Stadien und Verlauf

 

Ein Hallux rigidus muss nicht schmerzhaft sein. Typischerweise wechseln sich gute und schlechte Phasen ab. Schmerzen entstehen meist durch eine aufflammende Entzündung im Grosszehengrundgelenk, die durch Überlastung ausgelöst wird. Das Gelenk ist überfordert und schmerzt. Es gibt akute bzw. aktivierte und chronische Phasen. Die Einteilung des Hallux rigidus in ein Stadium kann sowohl nach radiologischen als auch nach klinischen Beschwerden erfolgen. Die am häufigsten von Fußchirurgen verwendete Einteilung ist nach Coughlin und Shurnas. Diese Einteilung kombiniert sowohl das Röntenbild, als auch die klinischen Beschwerden des Patienten (Schmerz, Beweglichkeit) miteinander. Die Einteilung erfolgt in die Schweregrade 0 - 4.

 

Eine weitere Einteilung ist nach Kellgren und Lawrence. Diese erfolgt nach den bildmorphologischen Kriterien im Röntgenbild und gibt den Arthrosegrad des Großzehengrundgelnks an. Die Gelenkspaltverschmälerung zeigt sich im Röntgenbild mit schwindender Knorpelschicht, wobei der Gelenkspalt bei zunehmender Arthrose schmaler wird und bei Grad IV vollständig aufgehoben ist. Osteophyten sind Knochenanbauten um die Gelenkfläche. Subchondrale Sklerosierung ist eine Körperreaktion zur Stabilisierung des Knochens unterhalb der Knorpelschicht. Fehlstellungen beziehen sich auf Achsabweichungen der Gelenkpartner, die Ursache oder Folge einer frühzeitigen Arthrose sein können. Eine Abweichung der Großzehe nach außen wird als Hallux valgus bezeichnet und nicht mehr als Hallux rigidus, auch wenn arthrotische Veränderungen vorliegen. Eine Arthrose besteht ab Grad II nach Kellgren und Lawrence, wobei klinische Gesichtspunkte (Beschwerden) hier nicht berücksichtigt sind. Auch bei dieser Einteilung gibt es Schweregrad 0-4

 

Arthrosegrad nach Kellgren und Lawrence:

  • Grad 0: Normaler Gelenkspalt
  • Grad I:  Gelenkspaltverschmälerung
  • Grad II:  Sichtbare Osteophyten
  • Grad III: Viele Osteophyten, subchondrale Sklerosierung, Fehlstellung
  • Grad IV: Definitive Fehlstellung, maximale Osteophyten, Gelenkspaltaufhebung

Diagnostik und Bildgebung

 

Die körperliche Untersuchung spielt eine wichtige Rolle in der Diagnose des Hallux rigidus, wobei eine eingeschränkte Beweglichkeit im Großzehengrundgelenk, insbesondere der Streckung (Dorsalextension), wegweisend ist. Allerdings weist die wichtige Differentialdiagnose Hallux limitus ebenfalls gelegentlich eine schmerzhaft begrenzte Streckung (Dorsalextensionsfähigkeit) auf. Durch einen spezifischen Test können diese beiden Krankheitsbilder unterschieden werden.

 

Der Untersucher identifiziert zunächst in der Neutral-Null-Position, die der Fußposition im aufrechten Stand entspricht, eine eingeschränkte Dorsalextensionsfähigkeit der Großzehe. Um zwischen Hallux rigidus und Hallux limitus zu differenzieren, bewegt der Untersucher den Fuß in die Plantarflexionsstellung (wie z.B. beim Spitzentanz im Ballett) und überprüft erneut die Beweglichkeit. Beim Hallux rigidus, einer zugrunde liegenden Arthrose, verbessert sich das Bewegungsausmaß nicht. Beim Hallux limitus hingegen lässt die reduzierte Spannung in der Wadenmuskulatur die Großzehe plötzlich deutlich weiter in die Dorsalextension bewegen.

 

Nach der klinischen Untersuchung ist eine Röntgenuntersuchung bei weiterhin bestehendem Verdacht entscheidend für die vollständige Diagnose des Hallux rigidus. Dabei zeigen sich die typischen, zuvor genannten Arthrose-Zeichen. Üblicherweise werden drei Aufnahmen im Stehen gemacht: von oben, seitlich und schräg (wo der Gelenkspalt am besten beurteilt werden kann).

MRT- und CT-Untersuchungen sind in der Regel weder zur Diagnosestellung noch für die Operationsplanung notwendig und haben daher eine untergeordnete Bedeutung.

 

Therapie

 

Grundsätzlich startet das Therapie-Regime mit konservativen Maßnahmen, wobei akute/aktivierte Phasen der Arthrose von chronischen Phasen zu unterscheiden sind. Die funktionelle Physiotherapie kann den degenerativen Gelenksprozess bestenfalls stabilisieren und die vorhandene Beweglichkeit erhalten oder verbessern. Die Arthrose kann nicht rückgängig gemacht werden. Von zentraler Bedeutung sind beim Hallux rigidus die richtige Versorgung mit Schuhen und Einlagen. Ziel der physiotherapeutischen Maßnahmen bei Hallux rigidus ist die Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit, Verminderung der Schmerzen beim Abrollvorgang sowie die Kräftigung der kurzen und langen Fußmuskeln zur Vermeidung sekundärer Fehlstellungen. Der Erfolg aller konservativen therapeutischen Maßnahmen bei Hallux rigidus ist in Abhängigkeit des Stadiums, der Phase des Schmerzes sowie den degenerativen Veränderungen des Großzehengrundgelenkes. In aktivierten Arthrosephasen, also bei stark gereiztem und entzündetem Gelenk, erfolgt neben der Ruhigstellung des Gelenks mit antientzündlichen und schmerzlindernden Medikamenten (Iboporfen, Etoricoxib, Deltaran) eine gezielte Therapie. In schmerzarmen Phasen, den chronischen Phase, ergänzt ein funktionelles Training die Therapie. Dieses besteht aus:

  • Belastungsfreie Mobilisierung zum Erhalt der Beweglichkeit
  • Gezielter Kraftaufbau der Vorfuß- und Großzehenmuskulatur
  • exzentrische Wadendehnung und sanfte Gelenkmobilisierung und anti-entzündliche Ernährung kombinieren
  • Verbesserung der Tiefenwahrnehmung durch Propriozeptionstraining
  • Physikalischen Maßnahmen wie Ultraschall, Elektrostimulation oder Kyrotherapie

Ein wesentlicher Beitrag zur Hallux-rigidus-Therapie kommt dem Orthopädietechniker zu. Seine Aufgabe besteht darin, das Gelenk zu entlasten, gegebenenfalls ruhigzustellen, Druckstellen zu vermeiden und dennoch einen möglichst physiologischen Gang zu ermöglichen.

Hierzu werden Einlagen angefertigt, die den ersten Strahl (Großzehe und ersten Mittelfußknochen) verstärken und dadurch die Dorsalextensionsfähigkeit verringern. Die wirksamste Hilfe geben Schuhe mit steifer Sohle. Steif, nicht hart. Steif bedeutet „nicht oder schwer biegsam“. Barfussschuhe und Five Fingers sind Gift bei einem Hallux Rigidus. Ob Schuhe mit Absätzen getragen werden können oder nicht, hängt vom Streckvermögen des Grosszehengrundgelenks ab. Alternativ zu einer Einlage kann eine Abrollhilfe auf einem Schuh aufgebracht werden. Es gibt diverse Einlagen, die ein ähnliches Ziel wie Schuhe mit steifer Sohle verfolgen. Am häufigsten werden Einlagen mit einer Rigidusfeder (Karbon oder Glasfaser) oder einer Schmetterlingsrolle verwendet. Vieles ist möglich, hauptsache das Gelenk wird entlastet.

 

Konservative ärztliche Therapie

Zur Schmerzlinderung werden sowohl entzündungshemmende und abschwellende Salben oder Tabletten, sogenannte Antiphlogistika eingesetzt. Auch eine sogenannte Infiltrationstherapie kann angewendet werden. Es besteht die Möglichkeit sowohl Cortison-Präparate, als auch Hyaluronsäure in das Gelenk zu injizieren. Studien zeigen, dass beide Medikamente langfristig sowohl den Ruheschmerz, als auch den in der körperlichen Untersuchung auslösbaren Schmerz verringern können. Durch den Einsatz von Hyaluronsäure konnte der Schmerz beim Gehen verringert werden. Die Therapieeffekte der Injektionstherapie hielten bei mittelgradiger Arthrose etwa 3 Monate, für fortgeschrittene Stadien konnte keine langfristige Beschwerdereduktion gezeigt werden. In Studien haben sich außerdem erste positive Hinweise für die Wirksamkeit von ACP-Injektionen (Autologes conditioniertes Plasma / Eigenblut) ins Gelenk gezeigt. Nach erfolgloser konservativer Therapie bleibt als letzte Option die Operation.

 

Operative Therapie

Gelenkerhaltende Chirurgie:

Cheilektomie, eine resezierende Operation, um bis zu 30 % der Gelenkfläche und störende Osteophyten zu entfernen. Geeignet für frühe bis mittlere Stadien mit Erfolgsraten von bis zu 98%.

 

Nicht-gelenkerhaltende Chirurgie:

Gelenkversteifung (Arthrodese) als Therapie der Wahl in fortgeschrittenen Stadien (Stadium 3 und 4), wobei eine physiologische Rekonstruktion von Winkel und Länge der Großzehe wichtig ist. Diese Option birgt jedoch Komplikationsraten von bis zu 20%, daher sollte sie nur bei fehlenden alternativen Therapieoptionen in Betracht gezogen werden. Es gibt darüber hinaus viele andere, weniger erprobte Operationsmethoden, die jedoch den Rahmen dieser Darstellung sprengen würden.

 

Prognose

 

Die Prognose sämtlicher Arthrose-Erkrankungen ist begrenzt, da der verlorene Knorpel und andere degenerative Schäden nicht umkehrbar sind. Daher gewinnt die Primärprävention, also die Vorbeugung der Erkrankung, eine entscheidende Bedeutung. Gewichtsreduktion, Optimierung der Schuhversorgung, ein korrektes Gangbild und eine starke muskuläre Stabilität können dazu beitragen, die Gelenke zu entlasten. Bei auftretenden Beschwerden sollten frühzeitig Maßnahmen ergriffen werden, um das Fortschreiten der Erkrankung möglichst zu verlangsamen. Im Falle eines Hallux rigidus können anfänglich mit nicht-operativen Ansätzen oft positive Resultate erzielt werden. Wenn die Erkrankung jedoch fortschreitet, werden operative Maßnahmen mitunter unvermeidlich.